September 2022 – März 2023

Tourstart

Rückblick meiner ersten beiden Touren in den kolumbianischen Anden

Mein Finder von Velotraum ist in meinen Augen ein echter Hingucker.

Februar 2023: Heute bin ich mitten im brasilianischen Amazonas. Alles um mich wirkt selbstverständlich. Die Gerüche, das Essen, der Geräuschpegel und vieles mehr. Ich weiß, wie ich mit den Menschen kommuniziere, kann einschätzen, wie ich mit dem Fahrrad auf der Straße vorankomme und fühle mich im Alltag souverän und selbstsicher. Vor gut fünf Monaten war noch alles neu für mich. Ein Blick ins Tagebuch versetzt mich zurück in die Vergangenheit, an den Start meiner Radreise in Kolumbien. Mitte September letzten Jahres startete ich meine erste Fahrradtour in Bogota, ahnungslos, aber gut vorbereitet. Um auf einer sicheren, erprobten Route zu fahren, wählte ich eine Rundfahrt aus dem Internet, die schöne Landschaften und für ein Reisefahrrad machbare Strecken versprachen: Fünf Tage über die westlichen Anden Kolumbiens.

Tag 1 – Paramo Gebiet: Endlich verlasse ich Bogota und starte in Richtung Norden. Mein Inneres schreit nach Natur und Abenteuer. Sonderlich fit fühle ich mich heute allerdings nicht und schon nach zehn Minuten Fahrt durch die steile Hauptstadt Kolumbiens schiebe ich mein Fahrrad an einer Straße mit über 20% Anstieg. Bisher durfte ich mein neues Velotraum Fahrrad im flachen Norddeutschland ohne Gepäck testen. Kein Vergleich! Deshalb bin ich erstaunt, wie gut ich trotz meines schweren Gepäcks den Berg hochkomme. Der kleinste Gang im Piniongetriebe wird auf den ersten Kilometern mein bester Freund und ich bin hochzufrieden. Das Velotraum macht mir richtig Spaß!

Die Straße, die mich aus der Hauptstadt hinausführt, schlängelt sich eng und unübersichtlich den Berg hinauf. Hier wird ohne Rücksicht auf Verluste überholt. Auch wenn mir mein Verstand einen Streich spielt, glaube ich, dass einige Fahrzeuge gerade mal 20cm an mir vorbeifahren. Besonders am ersten Tag fahre ich aufgrund meines Gepäcks bergauf kleine Schlangenlinien. Bei diesem Verkehr, dem jeglicher Weitblick fehlt, besonders gefährlich. Dabei bekomme ich eine latente Todesangst, wodurch ich automatisch schneller fahre und mein Puls in die Höhe steigt. Ein LKW fährt so rasant, dass er vor mir sogar einen Teil seiner Ladung verliert. Ein anderer, entgegenkommender LKW überholt auf meiner Spur und rast mit Höchsttempo auf mich zu, um im letzten Moment auszuweichen. 

Laute Motoren und dunkler Rauch: An diesem lebensfeindlichen Ort leben Menschen und Tiere. Die Pflanzen sind schwarz von den Abgasen. Ich bin froh, als mich mein Weg auf eine Schotterpiste führt.

Ich bin froh, als mich die Strecke auf einen kleinen Schotterweg führt. Ich kann aufatmen und genieße die Sonne. Meine Taschen wackeln und klappern noch an einigen Stellen – an das tägliche Befestigen des Gepäcks muss ich mich erst gewöhnen und die Handgriffe und Tricks für ein perfekt gepacktes Rad muss ich erst erlernen. Das Velotraum schlägt sich einwandfrei. Mit zwei Handgriffen lasse ich etwas Luft aus den Reifen und komme spürbar leichter über die mittelgroßen und festen Steine. Dafür habe ich direkt am Rahmen meine Luftpumpe befestigt und somit immer griffbereit, um nicht aus Zeitdruck oder Faulheit einfach weiterzufahren.

Die Luftpumpe am besten griffbereit am Rahmen montieren.

Während meiner Tour passiere ich erste Bauernhöfe und nehme neugierig alle neuen Eindrücke auf. Die Menschen schauen recht scheu und ich traue mich mit meinem schlechten Spanisch noch nicht, sie anzusprechen. Mit meinem Zelt im Gepäck schaue ich immer wieder nach guten Schlafmöglichkeiten. Mir ist die Gegend noch fremd und ich möchte nicht von der plötzlich kommenden Dunkelheit überrascht werden. Schon um 15.30Uhr treffe ich auf ein verlassenes und zerfallenes Häuschen, 50m oberhalb der Straße. Dies wird mein erster Schlafplatz! Es ist definitiv nicht einfach, hier Zeltplätze zu finden. Entweder ist jeder freie Meter umzäunt oder eine sumpfartige Vegetation nimmt jeden Zentimeter in Anspruch. 

Ich bin kein erfahrener Camper und schon gar nicht in einer solchen fremden Umgebung. Während des Aufbaus schaue ich mich nervös um. Trotz der Faszination für die wundervolle Landschaft der Anden beschleicht mich Nervosität – ich befinde mich alleine an einem völlig fremden Ort. Obwohl das Aufbauen meines Zeltes unkompliziert ist, benötige ich etwas Zeit, bis mein Lager aufgeschlagen ist. Mein Finder sichere ich mit einem Schloss, das ich zusätzlich mit dem Zelt verbinde. Wenn sich jemand mit meinem Rad aus dem Staub machen will, werde ich das so mitbekommen. In meiner ersten Nacht mache ich mir beinahe in die “Hosen”. Nachdem der Tag sonnig war, kommt jetzt ein gigantisches Gewitter auf mich zu. Natürlich höre ich auch noch das laute Bellen von Hunden – das für mich nun bedrohlicher als gewöhnlich klingt. Zum Glück beruhigt mich die angeforderte Wettervorhersage meines Garmins, denn das Gewitter zieht ab. Trotzdem ziehen Wolken auf und es beginnt zu regnen. 

Als ich am nächsten Tag aufwache, ist meine Zeltwand von innen nass. Auch zwischen Plane und Zeltboden hat sich Wasser gesammelt. Ich glaube zunächst, dass dies mein Fehler war, aber mal ehrlich: Ich habe auf 3400m in den Wolken geschlafen. Als ich das Zelt verlasse, befinde ich mich mitten in einer Wolke. Es ist neblig und die kleinen Wasserpartikel setzen sich direkt als kleine Tröpfchen auf meiner Kleidung ab. Statt, wie geplant, mit einem heißen Kaffee in der Morgensonne sitzend in den Tag zu starten, packe ich schnell alles zusammen und mache mich mit meinen nassen Sachen auf den Weg. Das Radfahren aktiviert meine Muskeln und mein Körper erholt sich langsam von der nass-kalten Nacht.

Tag 2 – Paramo Gebiet: Das Gebiet, in dem ich unterwegs bin, nennt sich Paramo und ist eine Vegetationsform der baumlosen Hochlandsteppen äquatorialer Gebirge. Das gebiet reicht von den Anden Kolumbiens über Ecuador bis hin nach Peru. Hier mangelt es nicht an Wasser und so kommt mein Wasserfilter zum ersten Mal in der Natur zum Einsatz. Zwar lässt sich das Wasser nur langsam durch den Filter drücken, doch dieser wird sich in den kommenden Tagen als unerlässlich erweisen. Nach zwei Kilometern auf machbarem Schotterweg hält ein Pickup an. Vier Parkranger schauen mich freundlich an und bieten mir einen Kaffee und Brötchen an. Ich glaube, sie wollen mir mitteilen, dass die Straße nicht passierbar ist. Mein Spanisch ist zu schlecht, um Genaueres zu verstehen. Da ich bereits öfter die Erfahrung gemacht habe, dass Radunerfahrene unterschätzen können, welche Wege man mit einem guten, robusten Rad meistern kann, entscheide ich mich, wie geplant, weiterzufahren. Mit jedem Kilometer wandelt sich der Nieselregen vom Morgen nun in einen dauerhaften Regen um. Ebenso ändert sich die Beschaffenheit der Straße zum Schlechteren. Was eben eine Straße war, gleicht nun mehr einer rießen Pfütze. Meist schlängelt sich daneben ein kleiner, etwa 40cm breiter Pfad. Dieser ist teils so rutschig, eng oder abfällig, dass ich oft schieben muss. Ich brauche nun mindestens 15 Minuten für einen Kilometer. Ich kämpfe mich weiter, Meter für Meter und bleibe in einem Matschloch stecken. Das Fahrrad mit samt meinem Gepäck bekomme ich nur heraus, indem ich mich davor stelle und an den Lenkern ziehe. Beim fünften Anlauf gibt der Matsch nach. 

Besonders das schwere Gewicht meines Gepäcks macht mir auf diesem Weg das Leben schwer.

Trotz meiner Situation freue ich mich, denn mein Finder schlägt sich passabel. Kaum vorstellbar, wie ich hier mit einer herkömmlichen Kettenschaltung durchkommen würde. Ich bin bereits am zweiten Tourtag heilfroh, mich für eine gekapselte Schaltung entschieden zu haben. An die Pinionschaltung mit ihren 18 echten Gängen habe ich mich heute schon gewöhnt. Der Riemen fängt zwar Matsch und Dreck ein, das lässt sich aber schnell mit ein wenig Wasser aus einer Pfütze beheben. Etwas mehr Aufmerksamkeit benötigen die Scheibenbremsen. Diese machen nach dem tiefen Matschbad durch ein unangenehmes Geräusch auf sich aufmerksam. Eine Wasserflasche später laufen diese auch wieder ruhig. Ihre Bremskraft kommt sogar mit meinem hohen Beladungsgewicht spielend klar: Fahrrad und Gepäck wiegen ca. 55kg. Vor allem meine Kameraausrüstung trägt ihren Teil zum hohen Gewicht bei. Dies wird hier zum Balanceakt und ist im Matsch zweifellos die größte und anstrengendste Herausforderung. Kurze Zeit später stehe ich vor einem großen See. Dies ist eigentlich meine Straße: unpassierbar! Zweifelsfrei hätte ich auf die Ranger hören sollen. Doch was nun? Mich weiterkämpfen, ohne zu wissen, wie lange diese Bedingungen anhalten oder umkehren? Umkehren würde mich zu sehr demotivieren, ich will weiter und suche einen Weg!

Diese Sumpflandschaft versperrt mir die Weiterfahrt. Ich finde glücklicherweise einen Umweg durch die bewachsene Moorlandschaft.

Um mich herum türmen sich die urigen Pflanzen der Paramolandschaft auf. Ein wenig erinnern mich diese an Kakteen. Doch im Gegensatz zu Wüstensand sind sie von einem Moor umgeben. Dieses Moor könnte mich um den See herumführen. Ich lasse mein Rad stehen und suche einen Weg zu Fuß. Trotz (zu kleiner) Überschuhe sind meine Klickschuhe nun komplett durchnässt. Nach ein paar Versuchen finde ich einen Weg durch das Moor zurück auf die Straße. Dieser Weg ist mit dem Fahrrad ein kleiner Marathonlauf. Das Gewicht meines Rads drückt sich bei jedem Schub ins Moor. Ich rolle das Fahrrad nicht, ich reiße und hieve es. Nach 15 Minuten habe ich die 30 Meter überwunden. Geschafft! Zehn Meter weiter erwartet mich derselbe Anblick, verdammt! Doch dieses Mal führt ein extrem schmaler Weg am Rand des nächsten Sees entlang. Das Rad im Wasser, ich auf dem Weg! Ich muss mich gegen mein Rad lehnen, um nicht selbst in dem See zu landen. Schritt für Schritt taste ich mich voran und schaffe es.

Eine halbe Stunde später stehe ich vor einer Abbiegung zurück in die “Zivilisation”. Ich entscheide mich, mir ein Hotel zu suchen, in dem mein nasses Zelt trocknen und ich in Ruhe meine Route überdenken und anpassen kann. Nach vier Stunden bin ich nun in einem Hotel. Trotz des anstrengenden Tages bin ich voller Motivation. Die Tour hat Spaß gemacht. Mein Fahrrad hat die Feuerprobe hervorragend gemeistert. Frisch geduscht und aufgewärmt freue ich mich auf die kommenden Wochen in den Anden Kolumbiens. Nun kann mich so schnell nichts mehr überraschen.

Die Paramo Landschaft in den Anden Kolumbiens

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